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24. März 2013

also manchmal, echt...


Lieber Leser,

achtung, diesmal schweife ich mal wieder hier und da ein wenig ab, was mich direkt daran erinnert, dass ich den Audiopodcast unter ähnlichem Titel (hier ein Link zur Webpräsenz) einmal erwähnen wollte: zwei nette Typen, welche sich über ihre neuesten Erlebnisse mit Indie-Titeln auslassen und dabei in das ein oder andere Thema verfallen (auch wenn der "Mitbewohner" mittlerweile eine eigene Rubrik verdient hätte, anstatt immer nur mal am Rande erwähnt zu werden). Aber nun zurück zum Wesentlichen.
Je länger ich versuche Leuten die Vorzüge agiler Softwareentwicklung näher zu bringen (was man witziger Weise ein Stück weit mit dem neuen Spot von Vivil vergleichen kann), desto weiter dringe ich dabei in unbekannte Gewässer vor (jedenfalls sind dort die Konzepte, die ich präsentiere, meist unbekannt). Es ist natürlich ganz normal, dass man alleine, aber auch mit dem Team zusammen, immer wieder in Kontakt mit anderen Gruppen gerät. Dabei fühlt man sich hin und wieder schon wie einer dieser religiösen Missionare, die ihre Kultur in die Welt hinaus tragen. Ich komme über die Jahre aber nun auch immer häufiger mit (Sub-) Systemen in Berührung, deren Tätigkeitsfelder sich nicht mit denen meiner eigenen Gruppe decken (jedenfalls nicht großflächig). Dazu gehören Splittergruppen aus den Bereichen Art oder Design, welche nicht Teil eines Entwicklungsteams sind, sondern vor- oder nachgelagert oder in so genannten "Pools" agieren. Mittlerweile reichen meine Bemühungen, bzw. die Anstrengungen meiner Gruppe die Welt ein Stück besser zu machen, allerdings auch bis zum Management und dem Rechnungswesen. Dort begegnet man, wenn man lange genug sucht, Gedanken, Rollen, Positionen und Strukturen, welche einfach auf einem anderen Verständnis des Gesamtbildes fußen und sich ganz natürlich ein wenig gegen die Überzeugungen und Werte hinter agile, lean, etc. sträuben. Dann fühlt man sich eher wie Galilei, der die Kirche (ich beziehe mich hier bewusst auf die Institution und nicht auf die Religion oder gar den reinen Glauben an sich) versucht davon zu überzeugen, dass sich die Sonne um Zentrum befindet und nicht die Erde.

Eigentlich eine ganz nette Analogie (aus meiner Sicht). Im traditionellen Management (ich verzichte mittlerweile auf den Ausdruck "klassisch", da für mich bereits agile und lean als klassisch gelten, da ich vom Beginn meiner beruflichen Laufbahn in diesem Sinne gearbeitet hab [wenn auch oft nicht ganz bewusst]) steht das System im Mittelpunkt. Historisch bedingt aus dem sekundären Sektor heraus, in der Fabrik, am Fließband auch nachvollziehbar. Auf der anderen Seite steht bei vielen Charakteren der eigene Vorteil im Mittelpunkt (Tribal Leadership versteht hier den Höhepunkt auf Stufe 3, wobei mir einfällt, dass ich unbedingt einmal eine grobe Übersicht der Stufen bloggen sollte). All ihre Bemühungen fokussieren sich direkt auf die (eigene) Vergütung. Auch wenn wir im Agilen die Maximierung von ROI und Co. anstreben, tun wir dies auf anderem Wege und in der Regel indirekt durch die Erreichung höherer Ziele. Bei uns steht der Mensch im Zentrum und das System baut sich um ihn herum auf, nicht anders herum. Mensch bezieht sich hierbei auf Kunden und Kollegen gleichermaßen, wenn auch nicht zwingend gleich gewichtet ;)

Missionare haben jedoch nicht das allerbeste Bild, vor allem die Christlichen. Haben sie doch vielerorts nicht nur Gutes getan bzw. bei der Erreichung ihrer höheren Ziele auf mehr als zweifelhafte Methoden zurückgegriffen. Darüber hinaus kann ich mich in die Rolle von Galileo nicht so richtig wiederfinden. Ich sehe meine/unsere Ansichten gar nicht als so radikal anders an, wie sie oft aufgenommen werden. Außerdem kann ich die Position meines Gegenübers meist nachvollziehen, wenn auch nicht verstehen. Vielleicht möchte ich auch einfach nicht in der Angst leben, dass die Obrigkeit jederzeit  mit der Absicht, mich ins Verlies werfen zu wollen, auf mich zukommen könnte. Die Schuhe des Missionars könnte ich mir mitunter schon mal anziehen, allerdings würde ich einige Entscheidungen der Vergangenheit in diesem Zusammenhang nicht mittragen.

Ich hoffe an dieser Stelle, dass die Werte, Methoden und Praktiken, die ich Anderen so anpreise, mir auch selbst helfen, nicht auf die schiefe Bahn zu kommen. Regelmäßige Reflexion hilft zum Beispiel ungemein. Die Werte, unter anderem Offenheit, Respekt und Kommunikation, unterstützen das Ganze. Das Eingeständnis, dass man alleine nicht perfekt ist und vor allem die Ideen, die man selbst für großartig hält in Frage gestellt werden sollten und zu aller erst einmal getestet gehören. Darum habe ich mir überlegt, dass auch meine Trainings auf den Prüfstand gehören. Geht mein Konzept überhaupt in anderen Umfeldern auf? In meinem Kopf schon, aber da draußen in der Realität? Ich habe also einen kleineren Entwickler gefunden; ein paar Leute, die ebenfalls Software erschaffen, jedoch in anderer Umgebung (software- und business-technisch). Ihre Welt wurde kürzlich erschüttert und nun befinden sie sich in einer Lage, auf die sie zwingend reagieren müssen. Dies wollen sie (eventuell) mit Hilfe der Agilen Softwareentwicklung tun, von der ich sie in den kommenden Wochen (hoffentlich) überzeugen kann. Ich möchte sie dabei unterstützen, auf der Basis von agile, lean, etc., ihre neue Position zu finden, von der aus sie dann auch fit für die Zukunft und gegebenen Falls für das nächste unwegsame Gelände sind. Für mich springen neue Erfahrungen heraus, die ich so bei meinem aktuellen Arbeitgeber nicht sammeln könnte, aber für die Arbeit dort brauche. Wenn meine Rechnung also aufgeht, gewinnen am Ende alle, die Welt ist ein Stück besser und ich einen Schritt näher daran, mich und meine Rolle überflüssig zu machen.

DM47

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